Samstag, 7. März 2015

Der Bonus im Kopf.

aus Die Presse, Wien, 7. 3. 2015

Das Gehirn bestimmt das Geschlecht
Wiener Hirnforscher konnten nachweisen, wie die Geschlechtsidentität im Gehirn festgeschrieben ist. Männer und Frauen unterscheiden sich in der Verschaltung ihrer Hirnregionen.

von Petra Paumkirchner

Ob wir uns als Frau oder Mann sehen, wird durch die Geschlechtschromosomen – zwei X-Chromosomen bei den Frauen, ein X- und ein Y-Chromosom bei den Männern – und die Geschlechtsorgane bestimmt. Gleichzeitig ist die Geschlechtsidentität, also ob wir uns in unserem Körper als Frau oder als Mann fühlen, entscheidend. Liegt keine Übereinstimmung zwischen dem körperlichen Geschlecht und der persönlichen Geschlechtsidentität vor, können wir uns als Mann in einem weiblichen Körper oder umgekehrt fühlen. Die Mediziner sprechen von Transgender oder Transsexualität.



Mehrere Forschungsinstitutionen sind weltweit auf der Suche nach der Repräsentation der individuellen Geschlechtsidentität im Gehirn. In einer vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie gelang es dem Hirnforscher Georg S. Kranz von der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien zu zeigen, dass sich die ganz persönliche Geschlechtsidentität jedes Menschen in der Vernetzung zwischen Hirnregionen widerspiegelt und nachweisbar ist. Die in Kooperation mit dem Niederländischen Institut für Neurowissenschaften in Amsterdam sowie Kollegen der Med-Uni entstandenen Erkenntnisse wurden kürzlich im Journal of Neuroscience veröffentlicht .

Vernetzungen untersucht

„Das Gehirn ist für unser Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich“, so Kranz. Daher sei man logischerweise davon ausgegangen, dass auch die Geschlechtsidentität im Gehirn repräsentiert sein muss. „Uns gelang es, neuronale Korrelate, also Entsprechungen in der Gehirnaktivität, für das Geschlechtsempfinden in den Vernetzungen des Gehirns festzustellen“, sagt der Forscher.

Alle Regionen im Gehirn sind durch Millionen Nervenfasern verbunden und verschaltet. Die Mikrostruktur dieser Verbindungen lässt sich mittels diffusionsgewichteter Magnetresonanz-Tomografie (siehe Lexikon) im lebenden menschlichen Gehirn darstellen.

In der Studie wurden sowohl weibliche und männliche Personen als auch Transgenderpersonen untersucht. Dabei fanden sich signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Mikrostruktur der Hirnverbindungen. Transgenderpersonen nahmen eine Mittelstellung zwischen beiden Geschlechtern ein.

Worauf die gemessenen Unterschiede zurückzuführen sind, kann derzeit von den Forschern noch nicht nachgewiesen werden. Es könnte die ungleiche Anzahl, eine unterschiedliche Dicke oder Dichte von Nervenfasern oder eine unterschiedlich dicke Isolationsschicht verantwortlich sein. Dafür sind noch zahlreiche Folgestudien notwendig.
Die Vermännlichung des Hirns

Weiters fanden die Forscher einen starken Zusammenhang zwischen den Mikrostrukturverbindungen untereinander und dem im Blut gemessenen Testosteronspiegel. „Diese Ergebnisse legen nahe, dass sich die Geschlechtsidentität in der Struktur von Hirnnetzwerken widerspiegelt. Diese entwickeln sich, unter dem modulierenden Einfluss von Geschlechtshormonen, im Nervensystem“, sagt Projektleiter Rupert Lanzenberger.

Diese Ergebnisse bestätigen eine lang bestehende Theorie. Bei einem männlichen Fötus kommt es während der Schwangerschaft zu zwei Anstiegen des Testosteronspiegels. Bei weiblichen Föten bleiben diese Anstiege aus. Der erste Testosteronanstieg ist für die Anlage der männlichen Geschlechtsorgane verantwortlich. Der zweite, später erfolgende Anstieg sorgt für die Vermännlichung des Gehirns. Stimmen diese beiden Prozesse nicht überein, kann es zur Ausbildung von Transidentität kommen.

LEXIKON 
Diffusionsgewichtete Magnetresonanz-Tomografie (DW-MRI) ist ein bildgebendes Verfahren, das die Diffusionsbewegung von Wasser in Körpergeweben misst. Es wird vor allem zur Untersuchung des Gehirns verwendet, da man aufgrund der Diffusion von Wassermolekülen auf den Verlauf von Nervenfaserbündeln schließen kann. Einige neuronale Erkrankungen wie Multiple Sklerose und Epilepsie lassen sich so nachweisen.

Nota. - Sag ich's doch längst: Das weibliche Gehirn ist die Standardversion. Das männliche ist ein Bonus.
JE




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